STÜRMISCHE ZEITEN: McLaren 720 S Spider

Das war ja klar: McLaren macht aus dem 720S einen Spider. Das bedeutet: Wie gehabt 720 PS, aber Sturm in der Bude. Besonders spannend bei 5 Grad Celsius und unter Polizei- beobachtung in Arizona

Die Warnung ist deutlich: Zwei sind schon geschnappt worden. Ausnahmsweise allerdings nicht Motor-Journalisten bei der Ausübung ihres Berufes, sondern beides Mitarbeiter von McLaren. Jeder für sich hat ein bisschen gespeeded.

Kein Wunder – ist der Highway 260 bei Payson in Arizona doch kaum befahren, doppelspurig pro Fahrtrichtung und gut geteert. Das herrliche Brüllen des Biturbo-V8 im McLaren 720S Spider wird verschluckt von uralten Saguaro-Kakteen, (die allerdings warnend ihre Ableger in den Himmel recken), Massen von Steinen und Felsen und ein paar darbenden Büschen in den arizonischen Hügeln. 65 Meilen pro Stunde sind hier erlaubt, das sind (mit Verlaub lächerliche gut) 100 km/h. Ab 100 mph, als 35 mp/h mehr als erlaubt, sind einem mehrere Nächte in einem möglicherweise trumpverseuchten Knast irgendwo in der verballterten Pampa im Südwesten der USA sicher. Nein danke!

Aber was macht man dann mit einem 720 PS starken Supercar, dessen Hauptnovität darin besteht, dass das Dach variabel ist? Na klar: Dach auf, die verdammt kalten fünf Grad Celsius reinlassen, Sitzheizung auf drei Schlangen, Heckfenster und Seitenscheiben bis zum Anschlag runter (jawohl, runter, denn weicheiern können wir auch zu Hause), Gebläse auf volle Pulle, Jacke bis zum Kinn schließen und ab ins Abenteuer. Ist einem die Top-Speed schon verwehrt, kann man sich wenigstens mit klirrender Kälte dem amerikanischen Mainstream entziehen, der in voll geschlossenen Pick-Ups vor sich hin langweilt.

Ein McLaren ist schon als Coupé überhaupt nicht langweilig – selbst dann nicht, wenn man mit 65 mph (na gut, bei übersichtlicher Topografie auch mal 75, 85 oder 95 Meilen pro Stunde) dahincruisen muss. Technisch gleicht der Spider dem zuvor gelaunchten Coupé tatsächlich in den meisten Punkten. Ausnahmen: ein neuer Monocage namens II-S wegen der offenen Bauart mit neu entwickeltem „ROPS“ („Rollover Protection System“, 6,8 Kilo leichter geworden als beim Vorgänger 650S Spider, keine weiteren Verstärkungen in der Karosserie mehr nötig), natürlich eine andere Dachkonstruktion, neue rahmenlose Türen mit neuen Verankerungen, neues Raddesign und neue Kotflügel  vorne und hinten. Allerdings haben es die Verantwortlichen geschafft, dem Spider die nahezu gleichen Fahrleistungen wie beim geschlossenen Pendant anzuerziehen. Das heißt: 0 auf 100 km/h in 2,9 Sekunden, Top-Speed 341 km/h (mit geöffnetem Dach allerdings „nur“ 325 km/h). Nur beim Sprint von 0 auf 200 km/h ist der Spider mit 7,9 Sekunden um eine Zehntelsekunde langsamer als das Coupé, beim Sprint auf 300 km/h ist es eine volle Sekunde – aber eine Strecke zu finden, auf der man von 0 auf 300 in einem Stück beschleunigen kann, ist nicht nur in Amerika ein großes Problem.

Die feinen Fahrleistungen erreicht McLaren wie gewohnt unter anderem durch strikte Diät beim Autobau. Nicht nur beim Monocage – so als würde Lotus-Gründer und Leichtbaupapst Colin Chapman aus dem britischen Autobauerhimmel die Hand über McLaren halten: Der Spider wiegt nur 49 Kilo mehr als das Coupé. Davon trägt die Hauptlast das einteilige elektrische Dach samt Abdeckplatte und alle dazugehörigen Mechanismen sowie die halbdurchsichtigen „C-Säulen“. Die nicht nur gut aussehen, sondern den Blickwinkel von innen nach rechts und links hinten auch ein bisschen verbessern.

Das neue Dach ist übrigens voll und ganz gelungen. Es benötigt nur elf Sekunden zum Öffnen oder Schließen, ist damit die schnellste Konstruktion der Supercarfraktion und arbeitet bis 50 km/h. Zu hören ist kein nerviges Gesurre, die Mechanik arbeitet fast geräuschlos bis auf das leichte Klacken des Ver- und Entriegelns der Dachplatte am Scheibenrahmen. Letzterer ist um 80 Millimeter weiter nach vorne gerückt, was nicht nur das Ein- und Aussteigen erleichtert, sondern die Insassen auch wunderbar im Freien sitzen lässt – wie es bei einem Spider (ursprünglich eine zweisitzige Kutsche ohne Dach) sein soll. Nettes Gimmick: Optional kann man sein Dachpaneel als elektrochromisches Element bekommen – auf Knopfdruck verdunkelt es sich oder lässt mehr Licht durch. Das kostet allerdings satte 7500 Pfund extra.

Und so tigern wir mit unserem 720S Spider im aufpreispflichtigen „Aztec-Gold“ (4330 Pfund) durch das winterliche Arizona, wobei unklar ist, ob Farbe, Form oder Tempo (das sportwagenunübliche langsame natürlich) die Passanten dazu bringt, ihr Handy zu zücken und Fotos zu machen. Vielleicht ist es auch das Wissen, dass man nicht so oft so ein britisches Supercarmodell vor die Linse bekommt, auch wenn die USA McLarens wichtigster Markt sind und auch wenn 2019 fast 50 Prozent der gesamten McLaren-Produktion Spider sein werden (auch dank des gleichzeig geöffneten 600LT Spider). Der Preis von 237.000 Pfund (in Deutschland 280.000 Euro; Testwagen: 246.990 Pfund unter anderem wegen vieler optionaler Carboneinlagen, den oben beschrieben Extras, einem Stainless-Steel-Auspuff für 4900 Pfund und einer sehr hilfreichen 360-Grad-Einparkhile-Kamera für 4720 Pfund) scheint für viele potenzielle Kunden kein Hindernis zu sein.

Beim Fahren geht es allerdings hauptsächlich darum, den Schub im Nacken zu spüren und den Sound ungefiltert an die Ohren zu lassen. Selbst bei schlechtem Wetter und deshalb geschlossenem Dach funktioniert das, weil die auch als Windschott funktionierende Heckscheibe stufenlos elektrisch zu öffnen ist. Und der Motor direkt dahinter geräuschvoll den Sprit verbrennt.

Falls es Sie interessiert: Wir haben uns wirklich zusammengerissen, und die tatsächlich patroullierenden Cops hatten bei uns keinen Grund zur Klage. Aber auch die beiden McLaren-Mitarbeiter sind mit einer Verwarnung davongekommen – selbst zu Trump-Zeiten lohnt es sich in den USA, freundlich und einsichtig zu sein…

Technische Daten:

McLaren 720S Spider

Motor: V8 Biturbo
Hubraum: 3.994 cm3
Leistung: 530 kW (720 PS) bei 7.500 U/min
Max. Drehmoment: 770 Nm bei 5.500 U/min
Getriebe: 7-Gang-Doppelkupplung
Antrieb: Hinterräder
Maße (L/B/H mm) : 4.544 / 1.930 / 1.194 mm
Gewicht: 1.332 kg
Sprint 0-100 km/h: 2,9 Sekunden
Top Speed: 341 km/h
Preis: 280.000,- EUR

GRIP-Faktor
PERFORMANCE: 5 von 5 Sternen
DRIVESTYLE: 5 von 5 Sternen
PREIS PRO PS: 388,89 EUR

Autor: Roland Löwisch – Fotos: McLaren, Roland Löwisch

TOP OF THE LINE: Lamborghini Aventador SVJ

Lamborghini hat im neuen Supercar Aventador SVJ sein „Aerodynamica Lamborghini Attiva“-System weiterentwickelt: Der 770-PS-Überflieger soll damit am Asphalt kleben. Wir haben das auf der Rennstrecke in Estoril ausprobiert

Die Verantwortlichen sind nicht glücklich mit den Umständen. Nein, es geht nicht um ihr neuestes Produkt, den auf 900 Stück limitierten Aventador SVJ, sozusagen ein nachgewürzter SV und das neue Top-of-the-line-Modell. Das ist perfekt vorbereitet. Aber mit der Strecke zur Vorstellung des Italien-Fighters haben sie sich unwissentlich verzockt: Eigentlich ist die Formel-1-Strecke in Estoril, Portugal, ideal, um alle Vorzüge von High-Tech-Autos zu beweisen – enge und weite Kurven, eine recht lange Gerade, meistens gutes Wetter. Was sie nicht wissen konnten bei der Buchung: Die Estorilis haben die Piste zwei Wochen vor dem Launch neu geteert. Das bedeutet: weniger Grip als sonst, kein Gummi auf der Strecke. Lambos Technik-Boss Maurizio Reggiani hat dafür nur ein Wort: „Sorry.“

Die Entschuldigung nehmen wir an. Und zwängen uns trotzdem mit großer Vorfreude in einen der bereitstehenden sechs nagelneuen Supercars mit dem J am Ende. Kurzer historischer Ausflug: SV bedeutet schon immer „Superveloce“ („superschnell“), das J am Ende steht (verkürzt erklärt) für Jota, stammt aus der Rennhistorie und gilt bei Lamborghini für einen Rennwagen, der von einem Straßenauto abgeleitet worden ist. Vorne links unter dem der Scheibe befindet sich eine Plakette mit der Aufschrift „1 di 900“ – statt durchzuzählen hat jeder Besitzer also „einen von 900“. Auch gut – fast wichtiger ist das, was hinten drin ist: wunderbare zwölf Zylinder. Kein Turbo, kein Kompressor, die ganze Konstruktion ein herrliches Sauger-Paradies. Das neben 770 PS auch noch 720 Newtonmeter maximales Drehmoment produziert. In einem Lambo, der erstmals in der Geschichte der Marke ein Leistungsgewicht von weniger als zwei Kilo pro PS (1,98 kg/PS) aufweist. Also Schutzklappe über dem Starterknopf aufklappen, drücken, und schon bellt diese herrliche italienische Maschine ihr kraftvolles Lied bis nach Lissabon.

Das Scharfstellen der technischen Synapsen in dem einem Airfighter nachempfundenen Cockpit ist denkbar einfach: Mittig in der Mittelkonsole befindet sich die Fahrmodi-Tastatur. „Komfort“ lassen wir heute mal weg, haben gerade mal kein Weichei als Beifahrer neben uns. „Sport“ stellt Parameter wie Gasannahme, Getriebe und ESP schon mal etwas schärfer, gilt aber auch als „Show-Modus“: Die Auspuffklappen singen ihr „SchautherichhabeingeilesAuto“-Lied, es spotzt und rotzt bassig, das kurze Andriften zum Publikumbeeindrucken klappt problemlos. Da aber momentan niemand zuschaut und wir uns auf einer Rennstrecke befinden, wollen wir Performance und wählen deshalb „Corsa“. Da stellen sich alle Parameter auf Tempo und Präzision ein.

Der Zwölfender brüllt im Rücken, dass es Gänsehaut verursacht (und man getrost vergessen kann, dass Lamborghini für den Verbrauchsmix 19,6 Liter Super angibt, für den Stadtverbrauch eindrucksvolle 31 Liter – was wir hier auf der Rennstrecke verballern, wollen wir gar nicht wissen…). Der mittig aufgehängte Innenrückspiegel ist eigentlich nur dazu da, ein paar seiner Komponenten zu sehen (Reggiani: „Mit dem, was hinter uns passiert, haben wir normalerweise keine Probleme…“), denn die Motorabdeckung verhindert eine bessere Sicht. Aber dafür gibt’s ja auch Rücksicht-Kameras.

Mit 1525 Kilo ist der Standard-SVJ nicht gerade ein Superleichtgewicht, und trotzdem geht der Lambo ab wie Schmidts Gepard. Lambo gibt 2,8 Sekunden für den optimalen Sprint auf 100 km/h und 8,2 Sekunden für 0-200 km/h an, das ist für gut eineinhalb Tonnen schweren Luxussportwagen verdammt gut und sowohl seiner Abstimmung als auch dem Allradantrieb und den extra entwickelten Pirelli-Reifen zu verdanken. Wahrscheinlich würde er die Super-Zeit auf dieser neu belegten Estoril-Piste jedoch nicht schaffen.

Tatsächlich ist die Haftgrenze des Lambo (Achslastverteilung: 43 Prozent vorne, 57 Prozent hinten) hier auf dem neuen Untergrund herabgesetzt. Trotzdem ist zu spüren, was für Kurventempi dank Hinterradlenkung und ALA 2.0 möglich sind. „ALA“ bedeutet „Aerodynamica Lamborghini Attiva“ und bezeichnet die aktive Luftführung, die Lambo schon im Huracan Performante einsetzt und jetzt weiterentwickelt hat. ALA 2.0 variiert elektronisch gesteuert die aerodynamische Last, um je nach Anforderung für Anpressdruck oder wenig Luftwiderstand zu sorgen. Stellmotoren öffnen und schließen dazu Klappen in den Frontsplittern und in der Motorabdeckung, die sich innen am Fuße des Heckflügels befinden. Das Verstellen erfolgt innerhalb von 500 Millisekunden. Dank „Aero Vectoring“ sorgen die Klappen hinten auch noch je nach Links- der Rechtskurve für mehr oder weniger Abtrieb je Seite. Der SVJ glänzt insgesamt mit 40 Prozent mehr Abtrieb, als der Vorgänger Aventador SV besaß, der allerdings mit 750 PS und 690 Newtonmeter auch etwas schwächer war.

Das Sahneaggregat im Rücken hängt sofort perfekt am Gas – wie man das Siebengang-Getriebe zum schnellen Wechseln der Gänge kriegt, muss man dagegen lernen. Erstens: Es handelt sich nicht um eine Doppelkupplung, obwohl sie durchaus verfügbar wäre. Der Grund: Laut Lambo lieben es die Fahrer dieses Supercars so pur wie möglich. Zweitens: Im Corsa-Modus gibt es keine Automatikfunktion. Der gemeine Aventador-Freund schaltet auf der Piste eben am liebsten selbst. Und drittens: Bis das Getriebe so schnell reagiert, wie man das erwartet, müssen zwei Faktoren erfüllt sein – mehr als 6000 Umdrehungen auf der Uhr und Pedal to the Carbon. Dann wandelt sich die jeweilige bislang nur rot umrandete Ganganzeige in der Mitte des digitalen Displays vor dem Fahrer in ausgefülltes Rot. Wer jetzt mit dem Paddel hochschaltet, wird mit sofortigem und hartem Schaltvorgang und ungebrochener Beschleunigung belohnt.

Die Carbon-Keramik-Bremsscheiben (vorne 400 mm, hinten 380 mm) verzögern das Carbonfaser-Monocoque samt Aluteilen (Fronthaube, Türen, vordere Kotflügel) sagenhaft, Könner stehen aus 100 km/h nach 30 Metern. Wenn es überhaupt etwas zu meckern gibt, sind das außer einem für die meisten Fans prohibitivem Kaufpreis von 415.448 Euro, der (konstruktiv bedingt?) zu niedrig angebrachte obere Gurtanlenkpunkt (Gurt rutscht einem 1,80-Mann ständig von der Schulter), die fehlende Wand zum Anlehnen fürs linke Knie bei rasanten Kurvenfahrten (dabei sind die Sicheltüren natürlich eine zu Lambo gehörende Show) und die nicht für jeden optimal angebrachten Schaltpaddel, die sich nicht am Lenkrad befinden. Wie bei Ferrari sind sie fest an der Lenksäule montiert – für Technikchef Reggiani eine Frage der Philosophie. Tatsache ist: Auf der Straße muss man schon mal beim Lenkrad umgreifen, auf der Rennstrecke nicht.

Lambo-Testfahrer Marco Mapelli hat das auf der Nordschleife natürlich nicht gestört: Der Testfahrer prügelte im Juli einen Aventador SVJ in 6:44,97 Minuten durch die Grüne Hölle, was einen neuen Rekord für straßenzugelassene Autos bedeutet.

Man braucht eben nur den richtigen Grip…

Technische Daten:

Lamborghini Aventador SVJ

Motor: V12
Hubraum: 6.498 cm3
Leistung: 566 kW (770 PS) bei 8.500 U/min
Max. Drehmoment: 720 Nm bei 6.750 U/min
Getriebe: 7-Gang-Automatik
Antrieb: Allrad
Maße (L/B/H mm) : 4.943 / 2.098 / 1.136 mm
Gewicht: 1.525 kg
Sprint 0-100 km/h: 2,8 Sekunden
Top Speed: 351 km/h
Preis: 415.448,- EUR

GRIP-Faktor
PERFORMANCE: 5 von 5 Sternen
DRIVESTYLE: 5 von 5 Sternen
PREIS PRO PS: 539,54 EUR

Autor: Roland Löwisch – Fotos: Lamborghini, Roland Löwisch